Systematik
Judasohr (Auricularia auricula-judae), Holunderschwamm, Waldohr, Wolkenohr, Ohrlappenpilz, Chinesische Morchel.
Ordnung: Ohrlappenpilzartige (Auriculariales)
Familie: Ohrlappenpilzverwandte (Auriculariaceae)
Gattung: Ohrlappenpilze (Auricularia)
Art: Judas-Ohr
Foto: "Waldohren" nach einem winterlichen Regenschauer an einem alternden Holunderast. Oft findet man sie knäuelig verwachsen (Foto © Heinz Karp).
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Beschreibung:
Gequollener Zustand: Die außergewöhnlich
vielgestaltigen Fruchtkörper werden drei bis neun Zentimeter groß. Sie haben
bei feuchter oder nasser Witterung ein lappenartiges, oft schüssel- oder
ohrmuschelförmiges Aussehen. Sie stehen seitlich vom Wirtsholz ab, sind nach außen gewölbt und
fassen sich fein samtig bis feinstfilzig an.
Die Oberseite
ist im jungen Zustand lila und geht dann in Kastanienbraun über. Oft
mischen sich Olivtöne bis hin zu Schwarz ein. An der helleren Unterseite
können die Fruchtkörper aderig-runzelig durchzogen sein. Das Hymenium
(das sporenbildende Organ) an der Unterseite ist jung blässlich
schwachgrau, später bräunlich.
Trockener Zustand: Die Pilze schrumpfen auf ein Minimum zusammen, sind sperrig-hart und rascheln im Pilzkorb. Dann schwarz bis schwarzbraun. Auch in diesem Zustand können die Pilze geerntet werden, freilich mit dem Nachteil, dass sie viel schwieriger zu entdecken sind. Vor Verwendung quellen die trockenen und getrockneten Pilze, 15, 20 Minuten in Wasser eingelegt, rasch wieder zu voller Größe vom bis zu Zehnfachen auf.
Fleisch: Elastisch, gallertartig, knorpelig.
Geruch: Muffig-erdig.
Geschmack: Mild bis flüchtig, fade bis belanglos. Die knorpelige Konsistenz gibt Speisen mit dem Judasohr einen unvergleichlichen Biss, den mancher Kenner schätzt.
Vorkommen: Der Pilz erscheint ganzjährig besonders in Flussauen, bei Seen, Teichen und Bächen. Er besiedelt vorzugsweise den Schwarzen Holunder, weit seltener auch Pflaumenbäume, Weiden,
Ulmen, Robinien und Walnussbäume. Wo er nicht am Wasser steht, benötigt er Regengüsse, um gut sichtbar zu sein.
Foto links: Der untere hier gezeigte Pilz hat sich den Namen der chinesischen Übersetzung von Mu-Err, nämlich "Waldohr", redlich verdient. Können Holunderbäume dank des Judas-Ohres etwa hören?
Mykologisch ist das Judas-Ohr ein parasitärer Pilz, der sich vom Substrat altersschwacher, kranker oder bereits abgestorbener Bäume ernährt. Er ist weder Morchel noch eine chinesische Exklusivität.
Als urheimischer
Pilz gehört er vielmehr der Gattung der Ohrlappenpilze (Auricularia)
innerhalb der Familie der Ohrlappenpilzartigen (Auriculariaceae) an, und die wiederum der Ordnung der Ohrpilze (Auriculariales); die allen übergeordnete Klasse ist die der Gallertpilze (Tremellomycetidae). Mit der Klasse der Echten Schlauchpilze (Pezizomycotina), dem die Morcheln angehören, hat das Judasohr nichts zu tun.
Seinen
Namen erhielt es, weil es überwiegend an alten Holunderbäumen
(Sambucus) wächst; an einem solchen soll sich Judas Ischariot, der
Verräter Jesus Christus an die römischen Soldaten, angeblich erhängt
haben. Das zweite Wort des Kompositums entstand deshalb, weil der Pilz
oftmals verblüffend an die Form eines menschlichen Ohres bzw. an die Ohrmuschel erinnert.
In
der Regel stellen diesem Pilz nur wenige Kenner nach. Für sie ist er nicht zuletzt deshalb eine willkommene Beute, weil
dieser merkwürdig erscheinende Ganzjahrespilz mit dem ebenso
merkwürdigen Namen die Lücke im pilzarmen Winter schließt.
Foto links: Hier ist gut zu erkennen, dass die Pilze bisweilen die gesamte Baumhöhe erklimmen. Wer solch einen gut besetzten Baum findet, macht gute Ernte (Foto © Ernst H.).
Es
gilt als gesichert, dass das "Waldohr" in China als Speisepilz seit
mehreren tausend Jahren Verwendung findet. Damit aßen die Menschen pure Gesundheit. In der chinesischen Medizin kommt es seit
etwa 1500 Jahren zum Einsatz; so lange schon wird es in China auch
systematisch in großen Mengen gezüchtet. Damit zählt das Judas-Ohr zu den
ältesten Kulturpilzen überhaupt. Etwa 1,1 Millionen Tonnen werden
alljährlich angebaut.
Auch in Heil- und Kräuterbüchern des
Morgen- und Abendlandes – wie etwa in „Das Kreütter Buch“
von Hieronymus Bock (1. Aufl. 1539) – hat es seit
Jahrhunderten seinen festen Platz und findet in der Praxis wissender
Heiler und Heilerinnen seine Anwendung. Hildegard von Bingens konkrete
Beschreibung eines an Holunderbäumen wachsenden Pilzes kann nur dem
Judasohr gegolten haben.
In der Vergangenheit wurde er in
Apotheken unter dem Namen Fungus Sambuci-Holunderschwamm oder
volkstümlich „Augenschwümli“ ganz offiziell gehandelt. Der zweite Name
gibt einen Hinweis auf seine Heilkraft bei Augenentzündungen: im
Mittelalter legte man sich für einige Zeit die eingeweichten
Fruchtkörper quasi als Umschlag auf die erkrankten Augenlider oder
massierte sich vorsichtig das dickliche Einweichwasser ein (Edmund
Michael, 1905). Aber auch bei anderen Entzündungen fand der Pilz
Verwendung.
Mit seinem Erscheinen ist das Judasohr allerdings
unberechenbar. Es kann in großen Mengen vorkommen oder, trotz
augenscheinlich bester Bedingungen, überhaupt nicht. So sucht man es an
vermeintlich idealen Stellen – zum Beispiel nach Regengüssen in
Flussauen mit alten, niedergehenden Holunderbäumen – häufig vergeblich.
Ein anderes Mal wiederum läuft man ganz unverhofft in eine kiloschwere
Brut hinein.
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