Juergens Pilzpost: Mit der Leidenschaft
für Pilze gegen die Rückschläge im Leben



Juergens Pilzpost (Jürgen berichtet sonst über seine Funde in Rheinland-Pfalz)

»Lieber Heinz-Wilhelm,

meine Passion für das Sammeln von Pilzen ist in Etappen entstanden. 1959 in Hannover geboren, haben mich meine Eltern das erste Mal mit sechs Jahren mit in die Pilze genommen. Natürlich mit dem Fahrrad, denn ein Auto konnten wir uns nicht leisten. Mein Vater war derjenige, der sich mit Pilzen auskannte, allerdings beschränkte sich sein Wissen auf Maronenröhrlinge, Steinpilze und Pfifferlinge. Von ihnen kannte er aber die richtigen Stellen.

Es ging immer in die weitreichenden Nadelwälder Richtung Altwarmbüchen und Großburgwedel. Früh morgens beim ersten Sonnenlicht ging es los. Für mich auf meinem kleinen Rad waren 50 – 70 Kilometer Fahrt schon herausfordernd.

Und dann kam das, was nicht kommen sollte; mein Vaters verstarb mit nur 38 Jahren im Jahr 1968 und hiterließ meine Mutter, mich und meine erst drei Monate alte Schwester. Von da an hieß es für mich: erst die Schule, dann um die Kleine kümmern. Da nun das Familienoberhaupt, gleichzeitig mein Pilzmentor, fehlte, war es das für eine lange Zeit mit den Pilzen. Gut getan hat mir die Zeit trotzdem, denn ich lernte Putzen, Kochen, Bügeln etc., während meine Mutter das notwendige Geld verdiente.

Juergens Pilzpost


Ab und an ließen mir dann – so mit 12 – die nahe liegenden Wälder (Eilenriede oder Richtung Burgdorf) doch keine Ruhe. Meistens fand ich wenige Maronen und Steinpilze; aber auch das Wenige besserte unseren Speiseplan auf.

Meine Mutter hat dann wieder geheiratet und berufsbedingt mussten wir 1973 umziehen. Von nun an lebte ich am linken Niederrhein im Raum Neuss und Mönchengladbach. Den Umzug hatte ich seinerzeit nicht gut verkraftet – aus dem Sportler (Fußball, Handball, Tischtennis) wurde ein fauler junger Kerl, der dann auch noch mit dem Rauchen anfing.

Nach meinem Schulabschluss und der Zeit bei der Marine zog ich dann zu Hause aus und lernte kurze Zeit später meine erste Frau kennen. Die pilzfreie Zeit endete dann mit dem Umzug; zuerst nach Mönchengladbach-Odenkirchen und dann nach Viersen-Süchteln und der Geburt meiner beiden Söhne. Hier nutzte ich die Wochenenden, um mit dem Fahrrad die Wälder zu erkunden.

Zwei Pilzbücher hatte ich mir zwischenzeitlich auch zugelegt. In Wickrath und dem Hardter Wald wurde ich dann auch zum ersten Mal allein richtig fündig. 1986 entdeckte ich in einem relativ kleinen Birken-Eichenwäldchen bei strömendem Regen eine Steinpilzstelle (sie sollte nur dieses eine Jahr so ergiebig sein) mit sage und schreibe 150 Steinpilzen. Die Strapaze des Rückwegs war dank das Glücksgefühl kaum ein Problem. Ich fand auch Rotkappen und Birkenpilze, die ich vorher nicht hätte bestimmen können.
In den Süchtelner Höhen fand ich dann bald die ersten Flockenstieligen Hexen – auch hier haben die Pilzbücher geholfen.

Juergens Pilzpost


Illustration dreiundzwanzig

Dann der nächste Bruch: nach knapp acht Jahren kam es zur Scheidung. Notgedrungen kellnerte ich nun jedes Wochenende, was mir - wieder einmal - die Zeit für Pilzgänge raubte.

In den darauf folgenden zwei Jahren bin ich im August und September 1991 mit einem Trekkingrad von Mönchengladbach über Recklinghausen, Halle (Westfalen), Wunstorf und Magdeburg nach Berlin gefahren, um ewig nicht mehr gesehene Verwandtschaft zu besuchen. Hier begann dann auch wieder die Lust, Wälder zu erkunden und nach Pilzen zu schauen.

1992 habe ich dann meine zweite Frau kennengelernt und zog nach Nettetal, nur einen Steinwurf entfernt zur deutsch-holländischen Grenze. Zur Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen fuhr ich bei fast jedem Wetter mit dem Rad. Die Wälder ringsherum lockten mich und so fand ich dann Richtung niederländische Grenze auch die ersten Pfifferlinge seit Hannover. Außerdem eine große Anzahl an Fundstellen für Röhrlinge, vor allem Flockenstielige Hexen. 

Illustration 21

1999 veränderte wieder alles.  Ich wechselte beruflich aus dem 'sicheren' öffentlichen Dienst in die freie Wirtschaft und wurde Kundenberater für Software Personalabrechnung und Entwicklung. Und machte in nur 7 Wochen meinen Führerschein. Auf einmal hatte ich ein Auto!

Nachteil aber war, dass ich nun doppelte Haushaltsführung am Hals hatte, denn meine Geschäftsstelle war in Linden (Hessen). Sowohl daheim als auch dort nutzte ich jede Zeit, um in die Wälder zu gehen. Hinzu kam nun noch meine bundesweite Tätigkeit.

Ich fand Pilze im Erzgebirge, Niedersachsen (Nordhorn), Kaufbeuren und Memmingen, im Südschwarzwald und in Rheinland-Pfalz. Aber immer noch mit nur begrenzter Pilzkenntnis.

Und dann der nächste schwere Schlag: meine zweite Frau erlag nach vierjährigem Ringen dem Krebs (2012). Aber 2013 war ich schon wieder verheiratet und habe meine Beatrice von Linden mit nach Nettetal genommen. Der Zuwachs war zunächst auch noch ein Hund und zwei Katzen, später dann drei Hunde.

Juergens Pilzpost


Und wir entdeckten neben den bekannten Plätzen auch noch reichlich Pilzplätze in den Niederlanden, wo man nach dem Gesetz nicht einen einzigen Pilz sammeln darf, keine Beeren und keine Kräuter. Einmal wurde ich dort erwischt, kam aber glimpflich mit dem Ausschütten meines Korbes davon. In dieser Zeit habe ich meine ersten Mails an Dich geschickt.

Im letzten Quartal 2019 zogen wir dann nach Rheinland-Pfalz – zunächst für eineinhalb Jahre nach Traben-Trarbach, dann nach Mittelstrimmig. Traben-Trarbach begann mit einem Oktoberfund von Steinpilzen in Massen und endete 2019 in meiner Diagnose Darmkrebs, glücklicherweise ohne Metastasenbildung. Ein Kundentermin in Landstuhl eröffnete mir dann 2020 auf der Rückfahrt die Sammelstelle bei Morbach.

Mit dem Umzug nach Mittelstrimmig wurde alles anders. Wir beschäftigten uns immer mehr mit Pilzen (hilfreich dabei war www.123pilzsuche.de), speziell den Täublingen, die ich bisher nie beachtet hatte. Auf einmal konnte ich Semmelstoppelpilze erkennen, Knochblauchschwindlinge, Trompetenpfifferlinge etc. Und mit dem Grünfelderigen Täubling lernten wir einen echten Edelpilz kennen. 

Juergens Pilzpost

Illustration neun

Heute kann ich sagen: Seit meiner Kindheit hatte ich häufig den richtigen Riecher bzw. Blick für Wälder, in denen es Pilze geben könnte. Und das nötige Glück. Und ich weiß mittlerweile: Zwei, drei Mal  findet man nichts, und erst beim vierten, fünften Mal stellt sich der erhoffte Erfolg ein. Heißt, Pilze sammeln erfordert auch die Investition von Zeit und Geduld.

Über Monate haben wir dieses absolute Wahnsinnsjahr 2024 der Pfifferlinge genossen. Über 100 Kilo zu ernten ist schon heftig, wer weiß, ob wir solch ein sagenhaftes Aufkommen überhaupt noch einmal erleben werden. Und alle diese Funde entstammten aus lediglich vier Waldstücken: hier bei uns ums Eck, Irmenach, Starkenburg und Morbach.

Kulinarisch müsste ich mich noch weiter entwickeln, aber dafür fehlt mir aktuell echt die Zeit. Man kann ja bei Stefan vom Pilzticker Hessen nachlesen, was man mit Pilzen Herrliches auf den Tisch zaubern kann. Bis zu seiner hohen Schule der Pilzkochkunst dürfte es aber ein paar Jährchen dauern. 


Illustration sechs

Ich hoffe, dass sich das nicht alles zu abstrus anhört – aber so bin ich halt - alt. Jetzt, wo ich das schreibe, muss ich echt die Füße still halten, um nicht noch in den Wald zu fahren, auch wenn es momentan "nur" Winterpilze gibt.

Das macht aber nichts. Denn was gibt es Schöneres, als die Hektik des Alltags im Wald hinter sich zu lassen und einfach nur die Natur zu genießen, die Stille - auch ohne Pilze. 

Eines sei noch erwähnt: ich warte nach wie vor auf meinen Erstfund von Speisemorcheln (Stellen würden wir kennen, finden aber nichts) und Austernseitlingen. Es gibt also noch einiges zu tun. 

Liebe Grüße an Euch alle, Euer Jürgen«

(Eingereicht am 14. September 2024)

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