Lang, aber sehr lesenswert! 

Michaels Pilzpost aus Balve: Als Opa beim
Steinpilz-Großalarm halb nackt durch den Wald lief




Drei herrliche Steinpilze; Foto Michael C. 1.12.24



Foto rechts: Drei herrliche Steinpilze mit gelbbraun angehauchten Hüten. (Foto © Michael)

(Michaels Pilzpost aus Balve)




Michaels Pilzpost aus Balve vom 1. Dezember 2024

»Liebe Pilzfreunde,

ich möchte Euch dazu einladen, meinen sehr persönlichen Reisebericht in und durch die Welt der Pilze zu lesen. Es geht vorrangig um Pilze, aber auch um Menschen. Genauer gesagt um einen, der mir das Tor zu dieser einzigartigen Welt aufgestoßen hat.

Es ist kaum zu glauben, wie die Zeit vergeht und wie präsent manche Erinnerungen dabei doch nachhaltig bleiben. Das ging mir letztens durch den Kopf, als ich auf fast 550 Metern Höhe bei uns im Wald stand, die spätherbstliche Sonne genoss und den Ausblick in die weitläufige Natur.

Es war 1974 und ich war 6 Jahre alt. Mein Großvater Robert, der damals gerade mal 47 war, hatte infolge von Zigarettenkonsum, gutem Essen, viel Alkohol und zu wenig regelmäßiger Bewegung einen Herzinfarkt erlitten und war in Bad Oeynhausen zur Kur. Im Kurpark, beim Spazierengehen, entdeckte ich damals meinen ersten Pilz. Es war eine stattliche Marone.

Das Foto, das dann unmittelbar mit einer Polaroidkamera geschossen werden musste, ist leider bei einem der zahlreichen Umzüge in meinem Leben verloren gegangen. Ich empfinde die Peinlichkeit aber noch bis heute und erinnere mich noch genau an meine Ungeduld, weil meine Mutter fünf Anläufe brauchte, bis ihr Vater mit dem Ergebnis, dem "Beweisbild"(!), endlich zufrieden war.

Die Situation von damals ist auch immer noch ganz klar in meinem Kopf: ich in einer roten Windjacke mit weißem Innenfutter und Cordhose von Palomino, seinerzeit ein Must Have von C&A, quer gestreiftem T-Shirt und Sandalen.

Neben mir Oma im beigen Faltenrock, Blümchenbluse und Strickjacke. Leicht genervt schaute sie durch die typisch sehr groß geratene Hornbrille. Und Opa. In einem braunen Zweiteiler mit unpassend bunter Krawatte, der bedeutungsschwanger und sehr ernst mit dem Zeigefinger auf die Fundstelle  unter jungen Fichten weist. Pilze waren für ihn etwas Besonderes, er kannte sie als wichtiges Nahrungsmittel.

Er war mit 16 eingezogen worden und sehr früh in französische Kriegsfangenschaft geraten. Dort musste er als Zwangsarbeiter zusammen mit sieben Kameraden bei einem Weinbauern arbeiten und auch für die anderen kochen. Bereits als Junge war er oft im Wald seiner Heimat unterwegs, um Brennholz zu sammeln, Beeren - und natürlich Pilze. Auf seinem Weg zurück nach Kriegsende, zu Fuß bis ins Ruhrgebiet, hat er neben Trockenfleisch auch getrocknete Pilze als Proviant mit sich geführt.  

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Der Opa leitete akribisch

Von meinem Erstfund an wurde nun jeder Spaziergang mit dem Hund, ein Pekinese namens James (vom Humboldt-Hain), in den diversen Parkanlagen meiner Heimatstadt zur Pilzexkursion. Die Opa akribisch leitete. Champignons, weiße und braune, große und kleine gab es dort zu finden, Schopftintlinge, Birkenpilze, Hallimasche, Nelkenschwindlinge, Hasenboviste und manchmal einen unappetitlich dunkel-bunten, den er "Hexe" oder "Rotstrumpf" nannte.

Damals war es mir noch suspekt, dass Opa immer so aus dem Häuschen war, wenn er etwas fand und garantiert ein altes Zwiebelnetz akribisch in ein Baumwolltaschentusch gefaltet bei sich trug, in dem er dann seine Beute mit nach Hause nahm, wo Oma sie ihm zubereiteten musste.

Meine Standardfrage "Kann man diesen Pilz essen, Opa?!" beantwortete er immer gleich: "Man kann jeden Pilz essen, manche aber nur einmal!" Ebenso wie die Antwort immer "Das ganze Jahr über!" lautete, wenn ich fragte, wann denn Pilze wachsen.

Die nächste intensive Erinnerung datiert aus den Sommerferien, ich war sieben Jahre alt und wurde aus dem Schlaf gerissen, als es noch stockdunkel war. Jemand rüttelte mich an der Schulter wach: "Komm, Junge, es wird Zeit, Du musst aufstehen!"

Warum? Der zusammenklappbare, sekündlich penetrant tickende Reisewecker zeigte auf seinem fluoreszierenden Ziffernblatt 2:30 Uhr an... "Wir müssen gleich los, damit wir zeitig im Wald sind," sagte Opa. Ich dachte, der alte Mann veräppelt mich.

Dass er es ernst meinte, bewies jedoch der herzhafte Geruch aus der Küche. Als ich im Schlafanzug hineintapste, mit gegen das Neonlicht der Ringleuchte unter der Decke zusammengekniffenen Augen, stand Oma schon in Kittelschürze am Ofen und bereitete Schlesische Bratwurst mit Speckkartoffeln vor.

Und es gab Bier! Morgens um drei?! Ich verstand die Welt nicht mehr.

Der Opa ist Oberschlesier, stammt aus Oppeln, heute Opole, erklärte mir die Oma, da isst man gerne herzhaft. Mir rutschte reflexartig ein verwundertes: "Dann ist der Opa ein Polacke!?" heraus. Was beide mit einem herzlichen Lachen quittierten. Genau! Und in Polen geht man eben gerne in den Wald zum Pilzen.

Aber warum man damit mitten in der Nacht beginnt, war mir weiterhin rätselhaft. Opa Robert erklärte mir, man müsse sehr zeitig im Wald sein, wegen der Konkurrenten, vor allem am Wochenende. Da gingen ja alle los zum Sammeln.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Das Schweizer Offiziersmesser war ein Werbegeschenk von der Nackedei-Illustrierten

Und überhaupt sei es unvergleichlich schön, wenn die ersten Strahlen der Sonne den Frühdunst zwischen den Bäumen durchdringen, es nach Nadelholz, Laub und feuchtem Boden duften würde; wenn der Eisvogel am Bach fischt und das Wild in der feuchtwarmen Dämmerung auf der Lichtung friedlich äst. Er hätte für mich genauso gut von böhmischen Dörfern reden können.

Kurz darauf ging es, bewaffnet mit Gummistiefeln, Wechselhosen, Brötchen mit Fleischwurst und Senf, einigen Bonbons, schwarzem Tee und Kaffee in zwei blauweiß und rotweiß gepunkteten Thermoskannen als Proviant los. Zunächst einmal hinunter, in den Keller des Hauses am Stadtrand.

Dort wurden, unter dem schummerigen Licht einer alten Lampe mit Bakelitschirm, an der improvisierten Werkbank zwischen Eierkohlen und Kartoffeln zwei abgegriffene, rechteckige Spanholzkörbe bereit gestellt, dazu kam eine Taschenlampe - "Original Varta!", betonte Opa Robert - und zwei Taschenmesser.

Ich fand sie beide spannend. Zunächst ein brandneues, mittleres Schweizer Offiziersmesser! Das Werbegeschenk von der Neuen Revue (nächstes Foto links) für das Jahresabo halbnackter Mädchen, das sehr zum Ärger von Oma kurz zuvor ins Haus gekommen war. Und ein sichtbar altes, mit braun-beigen Horngriffen und nur zwei Klingen.

Die waren bereits stark ausgeschliffen, aber spätestens, nachdem Opa sie ein paar Mal über dem bereitgelegten, mit Spucke angefeuchteten Wetzstein abgezogen hatte, waren sie so scharf, dass sie das dünne Papier einer alten Zeitung problemlos in schmale Streifen schnitten.


Ein Messer war für den Heranwachsenden noch zu gefährlich

Jedoch bekam ich keines dieser Messer. Das Schweizer wanderte in die Innentasche seiner Weste, die er über Hemd und Pullover trug, das andere wurde mit einem langen Stück grüner Wäscheleine aus Kunststoff an die Gürtelschlaufe seiner alten blauen, dicken Arbeitshose geknotet und in der Hosentasche verstaut. Ich sei noch zu klein für so ein gefährliches Messer, aber die Taschenlampe, die dürfte ich nehmen. Wofür die gedacht war, sollte ich erst später erfahren. 

Michaels Schweizer Messer; Foto Michael C. 1.12.24

Dann ging es vom Hof runter, die Straße entlang, am still gelegten Pütt und den immer noch dampfenden Abraumhalden vorbei in Richtung Autobahn. In dem champagnerfar-benen VW Passat mit Christopherus-Plakette am Handschuhfach. Immer "ganz vorschriftsmäßig!". Was in der Sprache von Opa Robert bedeutete, mindestens 10km/h langsamer als jeweils erlaubt die A45 in Richtung Sauerland unter seinem Motto "Ab nach Mekka in die Steinpilze!" zu fahren.

Im Auto war er die Ruhe in Person, konzentrierte sich ganz auf den Verkehr. Das Radio hatte auszubleiben, weil es ihn nur gestört hätte. Das erhöhte meine Müdigkeit aber nur noch mehr.

Sein Temperament änderte sich jedoch augenblicklich, wenn wir auf den Parkplatz am Waldrand in Lüdenscheid fuhren. An möglichen Konkurrenten kann es nicht gelegen haben, es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen, auch kein anderes Auto. Kein Wunder, war es doch immer noch richtig duster. Erst kurz nach 5 Uhr zeigte sich am Horizont ein ganz schmaler Streifen heller werdendes Dunkelblau.

Dennoch wurde Opa Robert, ein untersetzter Mann mit allzu ausladendem Übergewicht, ansonsten eher besonnen und in sich ruhend, nun immer ungeduldiger. Sein Brötchen war im Nu verschlungen, der Malzkaffee wurde lautstark und schnell reingeschlürft, die Brille geputzt, der Hut zurechtgerückt.

Er war nun bereit, alles war parat, während ich mein Brötchen mit immer noch flauem Magen kaum durch den Hals bekam. Mehrfach stampfte er mit einem hölzernen Wanderstock, der mit bunten Plaketten beschlagen war, auf den Boden. Er mahnte mich damit zur Eile; essen könne ich auch später noch, im Wald. Was Pilzfieber ist, unter dem er chronisch litt, sollte ich bald selber erfahren.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Mit der Taschenlampe die Steinpilze anstrahlen, damit die Stiele weiß leuchten

Der Wald war finster wie sonst nur was. Aber Opa stiefelte munter den Weg entlang los, schnurstracks in Richtung einer Fichtenschonung in Hanglage, die sich bedrohlich gegen den zunehmend aufhellenden Nachthimmel abzeichnete. Wie bitte, soll man denn hier Pilze finden?!

An der Dickung angekommen, hieß es, ich müsste nun einfach mit der Taschenlampe hangaufwärts unter die unteren Äste der Bäume leuchten, die hellen, dicken Stiele der Steinpilze würden das Licht gut sichtbar weiß reflektieren. Und tatsächlich, so war es auch.

Unter den Bäumen, zwischen Moos und Gras, das sich unscharf abzeichnete und zusätzliche Schatten warf, blitzte es im Licht der Taschenlampe tatsächlich hier und da hell auf. Davon wie magisch angelockt, huschte ich hinein ins Gehölz, drückte in der Hocke die Fichtenäste zur Seite und bestaunte mit offenem Mund und großen Augen die Funde. Da standen sie, unbekannt und doch zugleich direkt anziehend.

Opa Robert hatte mir erklärt, Pilze wären weder Gemüse noch Pflanze, sondern eine ganz eigene Art von Lebewesen. Die unter der Erde verborgen lebten und nur ihre Früchte, genannt Fruchtkörper, irgendwann sichtbar werden ließen. Was ich generell verstand, aber bis zu diesem Moment nicht ansatzweise erfassen konnte, war ihre enorme Präsenz und die ungemein intensive Aura.

Wie sie dort teilweise ruhten und thronten, tief im und hoch über dem Moos! Stattlich waren die meisten von ihnen, hoch gewachsen auf Stielen, dick wie mein Unterarm. Mit kugeligen karamellfarbenen oder schokoladenbraunen Hüten mit glatter oder wie gehämmert wirkender Oberfläche.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Die Statur der dickstieligen Steinpilze ähnelte der vom Opa

Manche zeigten sich kugelig klein, wie Tischtennisbälle, andere waren oben so groß wie ein Tennisball und bei den nächsten hatte der Hut den Durchmesser eines Esstellers. Einige kamen insgesamt gedrungen und sehr stämmig daher. Wie Opa Robert, dachte ich, mit dickem Bauch und vergleichsweise kleinem Kopf. Einige nennen sie auf dieser Website wohl "Butterfässchen".

Und was man auf den ersten Blick von ihnen sah, ließ kaum erahnen, was sich tief unten im Moos noch alles verbarg. Ein meist nach unten keuliger, langer Stiel, der nicht selten ein Vielfaches des Volumens ausmachte vom Hut. Aber so vielfältig ihre Größen und Wuchsformen auch waren, allesamt strahlten eine Magie aus, die mir gänzlich neu war.

Opa Robert klopfte ihnen zunächst sämtlich auf den Hut, als wolle er sie lobend tätscheln. Wenn Ton und Gefühl in seinen Fingern stimmte, also die Festigkeit, war schon viel gewonnen. Manchmal tastete er zusätzlich auch noch unter den Hutrand, in die Röhren, so nannte er es. Nach solcherart bestandener Kontrolle nahmen wir sie heraus aus dem Waldboden. Die Mulde im Boden verschlossen wir mit Moos, Humus und Blättern. "Um sie zu beschützen", sagte er würdevoll.

Mit einem kleinen Backpinsel, den er hervorzauberte aus einer der vielen Taschen seiner Weste, entfernte er zunächst groben Schmutz, Blätter und Fichtennadeln, während ich ihm mit der Taschenlampe leuchtete. Penibel kontrollierte er auf "Fressfeinde", so nannte er Maden und Schnecken.

Dabei waren ihm lebende Schnecken die am meisten verhassten Nahrungskontrahenten. Die Fruchtkörper putzte er vor Ort gründlich aus. Wobei er stets darauf achtete, maximal wenig wegzuschneiden von dem wertvollen Pilz, der auch schon mal Fraßspuren von Rehen, Mäusen und anderen Waldnagern zeigten.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Die Putzreste gehören dem Wald

"Die Reste, Junge, die bleiben hier. Sie sind Nahrung für den Wald und für das Myzel, das tief unten in der Erde ist und die Fruchtkörper hervorbringt, die wir hier gerade sammeln.“ Wir bedeckten die Putzreste danach mit Reisig und Laub, um zu verhindern, dass die auffälligen Reste auf dem Waldboden den Konkurrenten signalisieren könnten, wo wir etwas gefunden haben.

Er war ein schlauer Fuchs und stieg zunehmend in meiner kindlichen Bewunderung, die auf den folgenden Wanderungen durch die Wälder immer weiter wuchs.

Was er nicht alles wusste! Er hatte bemerkenswerte Kenntnisse über die Zusammenhänge im Wald, das Wetter und die Mondphasen, vor allem über die Wechselbeziehung zwischen Pilzen und ihren jeweiligen Baumpartnern. Er suchte nicht, er wusste, wann und wo was zu finden war. "Der Pilz, der wohnt ja quasi hier", scherzte er, "er hat ja keine Füße zum Weglaufen. Er kann sich nur ein wenig tarnen, wenn er herauskommt."

Und wie viele verschiedene Arten er kannte, die er teilweise verballhornte und deren Namen mich sehr faszinierten. Die Keule des Herkules und der Grüne Meuchelmörder waren ebenso schnell erklärt und verstanden wie das Männlein, das im Walde steht. Den Fuchsfurz für einen Bovist kapierte ich hingegen nicht.

Hall im Arsch nannte er den Hallimasch und der Kahle Krempling war, ausgerechnet für ihn, der sich als Polen sah, ein "Polackenpilz", wie ich irritiert feststellte. Es gab nicht nur Hexenröhrlinge, sondern auch Satanspilze, die beide unheimlich anmuteten. Und der Schönfußröhrling sah für mich auch nicht schön aus, sondern eher ungesund.

Er zeigte mir Fette Hennen und das Huhn des Waldes, die keinerlei Ähnlichkeit mit Hühnern hatten, sowie Eichhasen ohne Fell. Als er vom "alten Mann des Waldes" sprach, dachte ich zunächst, er würde über sich selbst reden. Den Strubbelkopfröhrling sollte ich erst viel später kennenlernen.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Schöner Waldschmuck: Drei Fliegenpilze; Foto Michael C. 1.12.24

Foto: Drei wunderschöne Fliegenpilze, deren Rocksäume, sprich Manschettenränder, besonders schmuck anmuten. 


Ein Pfifferling war nicht gleich Pfifferling. Er hatte jeweils einen Vornamen. Falscher, Echter, Blasser, Amethystschuppiger oder Rötlicher, was dem Aprikosenpfifferling entspricht.

Warum Täublinge so heißen, wie sie heißen, erfuhr ich auch bald. Gegen den anhaltenden scharfen oder bitteren Geschmack bei der für Täublinge ausnahmsweise erlaubten Rohkostprobe halfen nicht mal seine polnischen Kaffeebonbons, nur Abwarten und sich diesen ungenießbaren Pilz merken.

Ebenso wie die wichtigen Anzeigerpilze Pantherpilz, Mehlräsling, Perlpilz, Stinkmorchel, Pfefferröhrling und Fliegenpilz. Standen sie doch recht zuverlässig dort, wo auch seine Lieblinge wuchsen, Herrenpilz oder auch Dobernickel. 

Omas Pilzzubereitung war nicht nach seinem Geschmack

Spätestens seit dem ersten Tag mit ihm im Wald war auch ich unheilbar, aber wie ich bald bemerken sollte, auf angenehme Art erkrankt. An dem Virus, der mich seit einem halben Jahrhundert rauszieht in den Wald. Wie fieberte ich nun als Kind den Wochenenden in den Sommerferien, noch viel mehr in den Herbstferien entgegen!

Illustration 22n Fotolia

Die Zeit im Naturraum Wald mit Opa Robert war unschätzbar wertvoll für mich geworden. Achtung lernen und walten lassen gegenüber der Natur, Grenzen ausloten und respektieren, Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein erwachsen lassen auf den teils hoch abenteuerlichen Touren in unwegsamem Gelände, inklusive Klettern und Übersteigen von Hindernissen.

Das Erlernen und Bewahren von geheimem Waldwissen, (relative) Lebens-gefahr durch Pilzvergiftungen inklusive. Denn die konnte man sich nämlich auch, so musste ich erfahren, durch überständige Pilze oder Schimmel, selbst durch falschen Transport der Fruchtkörper und nicht geeignete Lagerung einhandeln. Nicht selten mit fatalem Ausgang, wie Opa Robert wusste.

Was tatsächlich dazu führte, dass ich kaum einmal gesammelte Pilze essen mochte, bis ich 14 Jahre alt war. Und wenn ich es doch einmal tat, dann endete das wirklich immer mit Magenschmerzen (psychosomatischer Art). Oma hatte eine Art sie zuzubereiten, die war so gar nicht nach meinem jugendlichen Geschmack. Zudem traute ich ihren Kenntnissen nicht so recht über den Weg, sie war ja schließlich nie mit im Wald.

Die Rollen waren ganz klar verteilt, Opa sammelte, Oma putzte und kontrollierte das Gefundene nach, legte ein, trocknete und kochte. Sie kochte auch so manches Mal selbst über, nämlich vor Ärger über die mitgebrachten Pilze. "Robert, du immer mit deinen Mistpilzen! Ich habe noch anderes zu tun!" Es beruhte wohl auch darauf, dass sie selber gar keine Pilze mochte.

Einen Spaß, den er sich irgendwann mal mit ihr machte, nahm sie ihm besonders übel. Nach dem Genuss von Reizkern klagte er über Blut im Urin und jammerte schauspielreif, seine Nieren wären nun irreparabel geschädigt vom Pilzverzehr. Da drohte sie erbost, er könne sich demnächst selber um seine Pilze in der Küche kümmern.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Platsch, da lag der Mentor mitten im Bach

Zwischen Brötchen und einem Underberg zum Nachtisch gab Opa Robert sehr gerne Heinz Erhardt zum Besten. Er zitierte munter den KABELJAU, DIE MADE oder den Weg vorausweisend: "Bäume, Bäume, nichts als Bäume und dazwischen Zwischenräume. Und dazwischen fließt ein Bach. Ach!".

Um einige Minuten später auf dem bemoosten Stein im Wasser auszurutschen und unsagbar ungelenk in den zuvor besagten Bach zu fallen, bäuchlings. Patschnass mitten im Bachbett sitzend, reklamierte er "Oh nein! Die schönen Pilze!" Die jungen Hallimasche, die er mühsam über eine Stunde hinweg mit seinem kleinen Messer von Baumstümpfen geschnippelt hatte, schwammen auf nimmer Wiedersehen davon. Wenigstens seinen Weidenkorb konnte er später bachabwärts noch retten, mit zerrissener Hose und großer Schmach.

Auf den Vorfall angesprochen, rezitierte er noch jahrelang Heinz Erhardt: "Ging die Ilse Pilze pflücken, musste sie sich sehr tief bücken. Jetzt stillt se, die Ilse. Scheiß Pilze!...“ Immerhin konnte er da schon wieder lachen.

Ich lernte durch ihn nicht nur Heinz Erhardt schätzen, Waldbeeren und Wildkräuter sammeln, mich in der Natur zu bewegen und zu benehmen, sondern auch einiges über den vielfältigen Nutzen von Heilpilzen, wie Rotrandiger Baumschwamm, Schmetterlingstramete, Lackporling, Birkenporling und auch Riesenbovist, den ich besonders als Beamtenschnitzel schätze.

Etwas Pulver vom Zunderschwamm habe ich zusammen mit etwas Baumharz immer bei mir, wenn ich mit den Kindern draußen Feuer mache. Wenn man beide mit etwas Vaseline vermischt, ist das nach meiner Erfahrung ein gutes Mittel gegen Entzündungen bei kleinen Wunden. Auch fördert es schnellere Heilung. Den bitteren Tee vom Birkenporling mag ich nicht so gerne, aber er hilft unbestritten bei Magenschleimhautreizungen.

Champignons sammeln war ihm zu gefährlich

Besonders eingebimst, schlimmer noch als das kleine Latinum in der Schule, hat er mir die stark giftigen und tödlich giftigen Pilze. Sein Respekt vor Knollenblätterpilzen war dermaßen groß, dass er „Niemals nicht!“ Champignons, also ihre Doppelgänger, gesammelt hätte. Ich persönlich konnte damit erst nach seiner Zeit beginnen.

(Michaels Pilzpost aus Balve)

Bis er 83 Jahre alt war, sammelten wir gemeinsam Pilze im Sauerland, vornehmlich in Plettenberg, Herscheid und Lüdenscheid, manchmal in der Vulkaneifel, bisweilen auch über ein langes Wochenende im Spessart. Dabei legte der Senior, schon tief in den Siebzigern, noch ein Tempo vor, dem ich kaum gewachsen war.

"Training, Junge, Training, damit habe ich Jahrzehnte Vorsprung!" Mit den Jahren und meinem Älterwerden trieb ihn aber auch die Konkurrenz zu mir an. Meine Augen waren weitaus schärfer und besser und mein Erfahrungsschatz mittlerweile sehr groß. Das konnte wohl seine Prägung, dass Pilze ein Grundnahrungsmittel seien, das der Selbstversorgung zu dienen habe, nicht gut akzeptieren. Dabei wurden am Ende doch immer alle Funde zwischen uns halbe-halbe aufgeteilt.

Denn Pilze mochte ich mittlerweile nur allzu gerne und wusste sie auch selber für mich passend zuzubereiten. Ich holte Opa mittlerweile mit meinem eigenen Auto ab. Oft auch in der Woche, denn er war mittlerweile Rentner, ich Freiberufler. Er war ein wenig entspannter Beifahrer auf dem Hinweg, weil ich viel zu schnell für ihn fuhr. Auf der Rückfahrt ins Ruhrgebiet wurde es besser, dann schlief er seine Erschöpfung aus.

Im Wald eilte er mir konsequent voran, Vordrängeln konnte man das auch nennen, um bloß jeden Pilz als Erster zu entdecken. Dabei sieht man mehr, wenn man sich Zeit lässt und gründlich rundum schaut.

Gerne bemächtigte er sich auch eines kleines Tricks, des Batterientricks. Er hatte spitz gekriegt, dass Oma Gerda, also seine Frau, mir aufgetragen hatte, ihn unauffällig zu beaufsichtigen, da er zunehmend tollpatschiger wurde und immer häufiger mit kleinen Blessuren wie Schnittwunden und Kratzern aus dem Wald zurückkam oder sich dort verlief und von mir gesucht werden musste.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Er war ein gewiefter Ausreißer

Sein Voranstürmen, man kann auch sagen, seine Ausreißvorhaben rechtfertigte er damit, dass die Batterien seines Hörgerätes leer seien. Er musste es tragen, weil er als Bergmann infolge der schlagenden Wetter unter Tage nahezu taub geworden war. „Kein Empfang…“, redete er sich raus, wenn er mir mal wieder - natürlich wie immer vorsätzlich - entwischt war und meine Rufe angeblich nicht vernommen hatte. So durfte er sich alleiniger Funde ohne jeglichen, auch familiären Konkurrenzdruck sicher sein.

Bei seinen Ausreißaktionen gingen wir ja nur einige Minuten zeitversetzt mit räumlichem Abstand unsere traditionelle Tour in Lüdenscheid. Nach zwei oder drei Stunden traf ich ihn dann grinsend am Auto. Wenn es besonders gut für ihn gelaufen war, hatte er sogar mehr Pilze gefunden als ich.


Zwei ältere Buckeltäublinge; Foto Michael 1.12.24



Foto links: Zwei ausgewachsene Buckeltäublinge mit typisch gelblichen Lamellen. 




War es bei ihm eine Art von Sammelwut? Ich weiß es nicht. Aber ich erinnere mich gut an eine bemerkenswerte Begegnung mit einem anderen Pilzsammler. Da war ich zehn Jahre alt.

Wir beschritten den unteren Weg im Wald, ein ebenfalls älterer Herr den parallel verlaufenden oberen Forstweg. Dazwischen lag eine Fichtenanpflanzung. Ich sollte immer einige Schritte voraus gehen und hangaufwärts schauen, dabei besonders in den alle 50 Meter rechtwinklig abgehenden Rückegassen nach Steinpilzen Ausschau halten.

Bei dieser Art Pilzlese bezeichnete sich Opa Robert als „Nachsucher“. Ich schaute also von unten in die Rückegasse, der Herr mit einem Korb am Arm, also ganz offensichtlich auch ein Pilzsammler und damit „ein Feind!“,  schaute zeitgleich von oben herunter in dieselbe Rückegasse. Es kam, wie es kommen musste: In einer dieser Gassen sonnten sich genau auf halbem Weg gut sichtbar ein paar kapitale Steinpilze im Moos. 

"Wagen Sie es nicht, den Pilz anzurühren!"

Mir war klar, unser betagte Rivale würde kaum seinen bequemen ebenen Weg verlassen und den schwierigen Weg bergab in Kauf nehmen. Opa Robert aber war das egal. Mit hoch erhobenem Wanderstock brüllte er hinauf: "Wagen Sie es nicht, den Pilz anzurühren. Ich habe ihn zuerst gesehen!" Und er wies mich an "Los Junge, lauf! Hole sie Dir!" Ich sauste den Hang hoch und sammelte die drei Exemplare ein, empfand das Erlebte dennoch einigermaßen befremdlich. Denn es gab im Wald genug Pilze für jedermann. Aus Respekt vor Opa sagte aber ich nichts dazu.

Generell mied er andere Pilzsammler wie der Teufel das Weihwasser. Nicht selten mussten wir still und kaum sichtbar im Unterholz verharren, wenn jemand anders in der Nähe war, um dann möglichst still irgendwo anders hin auszuweichen. Er hasste es, in Nähe zu anderen Pilze zu sammeln.

Wenn er überhaupt mit anderen Pilzsuchern in Kontakt trat, dann hatte er vorher seinen Korb unter Reisig oder hinter einem Baumstamm versteckt. Er gab sich dann als völlig unkundiger, aber höchst interessierter Wanderer aus. Der sich ausgiebig erklären ließ, was da alles beim Gegenüber im Korb lag und sich erstaunt danach erkundigte, wo man denn so etwas finden könnte.

Nicht ohne abschließend anzumerken, er würde „niemals Pilze sammeln!“ Dafür sei seine Angst vor Vergiftungen zu groß, denn irgendwie sähen sie ja alle  gleich aus. Die so erschlichenen Informationen nutzte er dann direkt bei der nächsten Tour mit zusätzlichen Funden an den preisgegebenen neuen Plätzen aus.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Austernpilze; Foto Michael 1.12.24

Foto: Austernpilze in charakteristischem Blauviolett. Dass schon Opa Robert sie gesucht hat, ist nicht überliefert. Sie gehören zu den Pilzarten, die Michael erst nach dem Ableben des Großvaters eigenmächtig kennenlernte und sammelte.


Im Dezember 1986 trat die Bundesartenschutzverordnung in Kraft und damit die Begrenzung von Sammelmengen geschützter Arten. Was ich damals noch nicht wusste, und ich fürchte heute, auch Opa Robert hat es nicht gewusst. Denn medial war man damals noch nicht so gut vernetzt. Selbst wenn er es gewusst hätte und die Regelung schon in den Vormonaten in Kraft getreten wäre, so glaube ich heute, es wäre ihm, sagen wir, situativ entfallen.

Er besaß einen reich bebilderten Pilzführer im Taschenformat, ein Werk aus den 1960er Jahren, schätze ich, mit vielen Fotos und Zeichnungen. Das er nutzte, um seine Artenbestimmungen im Wald abzusichern oder neue Arten zu bestimmen. Hinter den Einband hatte er noch leere karierte Seiten geklebt und vor den Einband eine kleine Wanderkarte, und zwar so gefaltet, dass die örtliche Region sichtbar war. Das war sein Routenplaner und Pilztagebuch für besondere Ereignisse.

"Wir lassen hier und heute keinen einzigen Steinpilz zurück!"

Für den 1. Oktober 1986 war dort in seiner Mischung aus Sütterlin und Lateinischer Ausgangsschrift vermerkt: "Sonnig, 23 Grad, 31 Kilo Steinpilze gefunden!" In der Karte prangte dazu ein blaues Kreuz.

Nie wieder habe ich einen so kerngesunden Wald gesehen und derartige Mengen von Pilzen: Maronen, Birkenpilze, Hainbuchenröhrlinge und Rotkappen; auch Letztere sprossen wirklich überall, selbst zwischen den Steinen aus den Waldwegen heraus. Doch wir ließen sie an jenem denkwürdigen Tag komplett unberücksichtigt. Es ging nur um Steinpilze.

Unsere Körbe, jeder hatte zwei kleinere dabei, waren schon nach kürzester Zeit übervoll. Wir hätten heimfahren können, aber Opa Robert sagte: "Junge, wir lassen hier und heute keinen einzigen Steinpilz zurück!" Was sollte ich da widersprechen? Wir brachten also die Körbe zum Auto und kehrten bewaffnet mit einem kleinen Zwiebelnetz und Geschirrhandtuch, in das zuvor im Kofferraum Obst für die Rückfahrt eingewickelt war, direkt zurück in den Wald.

Beides war aber, ruckzuck, erneut gefüllt. Und nun?! Ich hoffe, dass niemand, der das hier liest, zu den glücklicherweise wenigen Menschen gehörte, die uns auf dem erneuten Rückweg zum Auto begegneten.

Illustration 17n Fotolia

Der Opa hatte tatsächlich Hemd, Weste und sogar seine Hose ausgezogen. In allen Textilien, die er zu Behelfsbeuteln umfunktioniert hatte, hatte er Steinpilze verstaut. Seinen blassen, pummeligen Körper, gezeichnet von blauschwarzen Narben, Male seiner Arbeit an der Kohle, kleideten lediglich noch Sandalen, weiße Socken, Schiesser Feinrippunterhose mit Eingriff und Unterhemd.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Vom Erlös der Steinpilze kaufte er sich ein nagelneues Rennrad

Wie ein Großwildjäger mit seinen Trophäen schritt er zum Auto. Ich folgte mit erheblichem Abstand. Nur ja nicht den Eindruck erwecken, den Mann mit seiner grotesken Erscheinung zu kennen; am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken, so peinlich war mir dieser gefühlte Raubzug.

Den Großteil der Pilze verkaufte er noch am selben Tag aus Omas Wäschekörben heraus an Gaststätten in der Stadt und der näheren Umgebung. Kannte er doch als langjähriger Preisskat-Spieler wirklich jedes Lokal und jeden Wirt im Umkreis von 25 Kilometern gut. Von der Hälfte des Erlöses, stolze 300 Mark, was damals enorm viel Geld für einen Jugendlichen wie mich war, kaufte ich mir tags darauf ein Rennrad mit 24 Gängen, von Peugeot. Es war ein wirklich tolles Rad, aber in mir blieb das schale Gefühl, an Unrecht beteiligt gewesen zu sein. 

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 Vor einigen Jahren, bin ich ins Märkische gezogen, wohne dort sehr ländlich und direkt am Waldrand. Bis heute genieße ich in den naheliegenden Wäldern neben den Pilzen gerne Bewegung an der frischen Luft, Ruhe, Erholung und Entschleunigung. Oft gemeinsam mit meinen Kindern, die dem Hobby Pilzesuchen auch schon nachgehen, seitdem sie klein sind. Wir alle fühlen eine enge Vertrautheit und Verbundenheit mit der Natur, genießen die Stille in der Allgegenwart der Pilze.

Über die wir hier heute und auf so vielen Ebenen noch deutlich mehr wissen, als mein Mentor. Der leider mit 85 Jahren gestorben ist. 

Dass ein Wald, ja die allermeisten Pflanzen ohne Pilze gar nicht überlebensfähig sind und dass das World Wide Web unter unseren Füßen fast alles bestimmt, was oberhalb passiert, dass Pilze miteinander kommunizieren können, ebenso wie Bäume auch und vieles mehr, was die Wissenschaft zutage gefördert hat. Wie alt, wie riesig in der Ausdehnung und wie mächtig Pilze sind, wie bedeutsam für die Pharmazie, all das wusste er nicht.

Opas roter Schnürsenkel hängt immer noch in der Fichte

Wie Wälder oder Forste heute aussehen, wie unnötig sie ausgebeutet und kaputt gewirtschaftet werden, was der Klimawandel anrichtet und dass die meisten Menschen nur noch Champignons aus dem Supermarkt kennen, das blieb ihm zum Glück erspart.

In seinem Lieblingsrevier - identisch mit meinem Lehrrevier - zwischen Lüdenscheid und Plettenberg finde ich noch heute Spuren von ihm. Ein roter Schnürsenkel, den er damals an den Seitenast einer noch jungen Fichte geknotet hat, harrt noch immer dort aus, nur in deutlich größerer Höhe als vor 42 Jahren. Der Baum selber ist jetzt über 25 Meter hoch und steht gemeinsam mit anderen an der Stelle des Steinpilzwahnsinns von 1986. In einige Bäume entlang der Tour, vor allem in Buchen, hat er Markierungen geschnitzt, Fundplätze und Bewegungsrichtungen geritzt, die ich teilweise noch auszumachen weiß.

An seinem Rastplatz oben im Wald - ein bemooster kleiner Hügel zwischen Fichten, Birken, Kiefern und Blaubeeren mit Aussicht in ein ruhiges, malerisches Tal - mache auch ich gerne Pause und esse etwas. Häufig steht dort ein kleiner, stets pummeliger Steinpilz. Den ich dann lächelnd mit „Hallo Robert!“ begrüße.

Sein Schweizer Taschenmesser ist in meinen Besitz übergegangen. Oft habe ich es im Wald bei mir, jedoch, ohne es zu benutzen. Vielleicht benötige ich ja doch mal eine Säge, Pinzette oder einen Zahnstocher.

(Michaels Pilzpost aus Balve)


Kleiner pummemliger Steinpilz; Foto Michael 1.12.24

Foto: Hallo, kleiner pummeliger Steinpilz. Diese Form erinnert Michael immer wieder an seinen Mentor, Opa Robert, der selbst von untersetzter, mehr als runder Natur war. 


In diesem, meinem 50. Pilzjahr, habe ich 38 Touren im Märkischen gemacht, dabei laut Schrittzähler 286 Kilometer zurück gelegt und über 5.600 Höhenmeter absolviert. Mein Pilztagebuch ist dein Pilzforum geworden, lieber Heinz-Wilhelm. Meine Routen und die jeweiligen Fundplätze habe ich bei Google Earth verzeichnet und markiert, zudem habe ich viele Pilze mit der Kamera gejagt und im Bild festgehalten.

Ich sammle nur gut zwei Dutzend mir bestens bekannte Arten. Ganz nach Opa Robert, der zu sagen pflegte: „Was Du nicht ganz sicher kennst, das iss nicht.“ Bevor er grinsend hinzufügte „Und gib es bitte auch nicht anderen…“

Von Magengrimmen, Darmbeschwerden oder Schlimmerem blieb ich verschont, Unfälle im Wald gab es bisher nicht und auch mit meiner Frau habe ich großes Glück, bei uns ticken die Uhren anders. Sie liebt die Natur ebenfalls, sammelt und mag Pilze gleichermaßen, meist putzen, schnippeln und kochen wir sogar gemeinsam mit den Kindern.


Illustration 2n Fotolia

2024 war das Jahr der Pfifferlinge, die hier von Mitte Mai bis Anfang November zu finden waren und des fast totalen Ausbleibens von Sommersteinpilzen. An Champignons fand ich nicht einen einzigen. Bemerkenswert war außerdem der sehr späte Start der Fichtensteinpilze, die ich dafür aber noch bis Mitte November gefunden habe.

Es war ein Jahr mehr, in dem es mich verwundert, dass Menschen ihre Gesundheit, ja sogar ihr Leben Pilzbestimmungs-App anvertrauen, die so sicher sind wie ein mehrfach geladener Revolver beim Russisch Roulette oder Online-Kursen auf Youtube. Auch in diesem Jahr 2024 starben wieder einige Personen an (leicht vermeidbaren) Vergiftungen durch den Grünen Knollenblätterpilz oder konnten nach dem Verzehr nur knapp gerettet werden.


Schöne Schmetterlingstramete; Foto Michael 1.12.24

Foto: Eine wunderschöne Schmetterlingstramete, bekränzt mit leuchtendem Blauviolett. An Gestecken sind Pilze dieser Art fast unübertrefflicher Zierrat.


Pilze sammeln ist weiterhin ein hipper Trend, mit hoher multimedialer Reichweite. Der oft ohne Sinn und nicht selten mit noch weniger Verstand in einem Breitensport-ähnlichen Umfang betrieben und von Pilz-Influencern angefeuert wird oder gegen Bezahlung als Gruppenangebot stattfindet und nicht mehr das Hobby hoch spezialisierter Individualisten ist.

Der Wald wurde weiter reduziert, anstatt ihn umzubauen, als Anbaufläche für Monokulturen ausgebeutet oder als Standort für Windparks missbraucht. Und dennoch bin ich mir sicher, die großen Überlebenskünstler Fungi werden mit der Zeit Wege finden, um mit den allermeisten Veränderungen irgendwie zurecht zu kommen. Ob wir Menschen das schaffen, wird sich zeigen.

Illustration 7n Fotolia

Ich wünsche allen Waldläufern, -freunden und -liebhabern, Pilzsammlern, diesen bisweilen eigensinnigen, sympathisch verschrobenen, zugleich oft schlauen, hoch kundigen und zielstrebigen Charakteren viel Spaß mit und in der Natur und mit unserem gemeinsamen Hobby. Dazu Gesundheit und Zufriedenheit sowie, der Jahreszeit entsprechend, eine besinnliche Adventszeit.



Wenn ich noch einen bescheidenen persönlichen Wunsch äußern darf, dann erinnert Euch bitte dann und wann an das alte Gedicht:

Ich bin der Wald, ich bin uralt.
Ich hege den Hirsch, ich hege das Reh.
Ich schütz Euch vor Sturm, ich schütz Euch vor Schnee.
Ich wehre dem Frost, ich wahre die Quelle.
Ich hüte die Scholle, bin immer zur Stelle.
Ich bau Euch das Haus, ich heiz Euch den Herd, drum ihr Menschen haltet mich wert!

Herzliche Grüße

Michael«

(Ende Michaels Pilzpost aus Balve)

(7 Fotos © Michael C.)

Alle 14 Illustrationen auf dieser Seite: (© 3drenderings - fotolia)

8. Dezember 2024


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Allen Pilz- und Naturfreunden
eine fröhliche
Adventszeit

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